
Los Angeles und das Pyrozän: Architektur im Zeitalter der Feuersbrünste
Der Januar 2025 wird in die Geschichte von Los Angeles eingehen. Mit dem Eaton Fire und dem Palisades Fire erlebte die Metropole die zweit- und drittschlimmsten Brandkatastrophen aller Zeiten. Über 16.000 Gebäude wurden zerstört, mindestens 29 Menschen verloren ihr Leben. Ganze Viertel wie Altadena im Norden und Teile von Malibu an der Pazifikküste liegen in Schutt und Asche.
„Das unglaubliche Ausmaß der Zerstörung zeigt, dass Waldbrände viel weiter in die Städte vordringen können als gedacht“, sagt Geoff Manaugh, Autor und Experte für Architektur und Stadtplanung. „Wir müssen unsere Häuser in Zukunft anders planen, und wir müssen uns so verhalten, als seien wir permanent von Feuer bedroht – weil wir es ab jetzt sind.“
Stephen Pyne, emeritierter Professor an der Arizona State University, prägte einen Begriff für dieses neue Zeitalter: das Pyrozän. Eine Ära, in der das Feuer nicht mehr nur natürliches Element, sondern zur allgegenwärtigen Bedrohung wird. Los Angeles scheint diesen Zustand früher zu erreichen als andere Metropolen.
Die Anatomie der Katastrophe
Die Ursachen für die verheerende Ausbreitung der Feuer waren komplex. Zwei feuchte Jahre hatten üppige Vegetation entstehen lassen, gefolgt von extremer Trockenheit. Als die berüchtigten Santa-Ana-Winde mit Geschwindigkeiten von bis zu 130 Kilometer pro Stunde einsetzten, verwandelten sie die Stadt in einen Brandherd.
Doch eine Überraschung erlebten viele Expertinnen und Experten nach den Flammen: Die Natur erholte sich erstaunlich schnell. Während Häuser in Trümmern lagen, standen viele Bäume noch – angesengt, aber lebendig. Die kalifornische Behörde für Wald und Brandschutz (CalFire) erklärt: „Die Bauten waren in der Regel weit trockener als Äste und Stämme, die zudem mit natürlichen Brandhemmern wie einer dicken Borke ausgestattet sind.“ In Altadena blieben die bis zu 40 Meter hohen Himalaja-Zedern, Amerikanische Platanen und kalifornische Eichen weitgehend verschont.
Acht Wochen nach den Bränden zeigen Luftaufnahmen bereits frisches Grün und bunte Blütenteppiche in den verkohlten Canyons. Besonders die für Südkalifornien typischen „Fire followers“ – Pflanzenarten wie Buschmalven, Feuermohn und Herzblumen – sprießen aus den mineralstoffreichen, verbrannten Böden.
Die Geographie der sozialen Spaltung
„Die soziale Geografie von Los Angeles folgt der Gefahrengeografie„, erklärt der Wiener Architekt Wolfgang Kölbl, Autor des Buches „Los Angeles Endzeitmoderne“. „Für die Arbeiter wurden die zentralen Lagen auf ebenem Feld entwickelt. Die Gefahrenlagen an den Hügeln oder am Meer hingegen muss man sich leisten können.“
Dieses Phänomen, von Kölbl als „Malibu-Effekt“ bezeichnet, führt zu einem paradoxen Muster: Die Wohlhabenden leben in den gefährdetsten Gegenden, während ärmere Viertel wie South Central relativ sicher sind. „Der Aufwand für Erschließung und Erhaltung ist in den Hügellagen wesentlich höher, oft ist kein Versicherungsschutz möglich. Die einzige Sicherheit, die man sich damit erkauft, ist eine solide Schutzdistanz zur Armut.“
Die Folgen der Brände drohen diese soziale Kluft weiter zu vertiefen. In Altadena, einem vormals vielfältigen Viertel mit unterschiedlichen kulturellen und sozialen Hintergründen, waren viele Häuser nicht oder unzureichend versichert. „Die Folgen des Feuers werden die sozialen Probleme von Los Angeles weiter verschärfen“, warnt die Wiener Architektin Christiane Feuerstein. „Leistbarer Wohnraum war bereits vorher ein rares Gut. Da nicht nur Wohnraum, sondern auch Arbeitsplätze zerstört wurden, werden jetzt noch mehr Personen auf der Suche sein.“
Das Trauma des Wiederaufbaus
Der Weg zurück ins normale Leben ist für die Betroffenen lang und steinig. Dies zeigt die Geschichte von Carla und Kevin Fern (Name geändert), deren Haus bereits beim Woolsey-Feuer 2018 zerstört wurde. Trotz behördlicher Versprechen, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, dauerte es fast zwei Jahre, bis sie eine temporäre Erlaubnis für ein Tiny House auf ihrem Grundstück erhielten. Erst nach fast sechs Jahren konnten sie mit dem tatsächlichen Wiederaufbau beginnen.
„Pushing the envelope on innovation, such as low-carbon and non-toxic building materials, no matter how aligned with broader climate and public health policy goals, is next to impossible“, beklagt Fern, die als Energieberaterin arbeitet. „Viele Optionen, die uns geholfen hätten, schneller und nachhaltiger zu bauen, fielen unter den Tisch, weil die Genehmigungen zu kostspielig und zeitaufwendig waren.“
Bei ihrem Wiederaufbau setzten die Ferns auf Feuerresistenz: nicht brennbare MgO-Platten statt Gipskarton, feuerfeste Tondachziegel, unbelüftete Kathedraldecken und laminierte Fenster, die fliegenden Glutpartikeln standhalten. Zudem installierten sie Wasserkanonen mit Sensoren, die das Haus automatisch besprühen, wenn sich ein Feuer nähert.
Strategien für die brennende Stadt
Rob Olshansky, emeritierter Professor für Stadtplanung an der University of Illinois, warnt vor überhasteten Reaktionen: „Der vorherrschende Diskurs in Los Angeles ist derzeit Tempo, Tempo, Tempo. Aber überstürzt genau wie vorher wieder aufzubauen ist ein Extrem, und verbrannte Gebiete als Tabula rasa zu behandeln ein anderes. Die Realität liegt irgendwo dazwischen.“
Olshansky, der mit Laurie Johnson das Buch „After Great Disasters“ verfasste, analysierte drei Wiederaufbau-Szenariennach kalifornischen Megabränden:
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Wiederaufbau wie gewohnt: Schnelle Rückkehr zur Normalität ohne grundlegende Änderungen.
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Gesteuerter Rückzug: Überlebende werden motiviert, in weniger gefährdete Gebiete umzuziehen.
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Resilienz-Knoten: Gemeinschaften integrieren robuste Brandschutzmaßnahmen, einschließlich defensiver Pufferzonen.
Sowohl Olshansky als auch Brandopfer Fern plädieren für eine gemeinschaftsgesteuerte Erholung: „Wiederaufbau sollte kein Top-down-Prozess sein, sondern von unten nach oben beginnen – wie jede Gemeindeentwicklung“, betont Olshansky.
Die Detroitisierung von Los Angeles?
Wolfgang Kölbl sieht nach dem Versagen bei Katastrophenvorsorge und -einsatz eine düstere Zukunft: „Los Angeles droht eine Detroitisierung.“ Ähnlich wie in der einstigen Motorstadt könnten wohlhabende Stadtteile eigene Kommunen bilden, mit eigener Feuerwehr, die aus eigenen Steuern finanziert wird. Zurück bliebe eine verarmte Reststadt.
Sowohl Fern als auch Olshansky sorgen sich um Klima-Gentrifizierung – ein Prozess, bei dem wohlhabendere Bewohnerinnen und Investoren größere und exklusivere Häuser bauen und Menschen mit weniger Ressourcen verdrängen. In Santa Rosa sind die Immobilienpreise seit den Bränden 2017 um 93 Prozent gestiegen, was die Rückkehr vieler Bewohner erschwert. In Los Angeles sind die Mietpreise nach den Bränden bereits um 20 Prozent in die Höhe geschnellt.
Feuer als Lehrer: Resilienz neu denken
Der Wiederaufbau bietet jedoch auch Chancen für mehr Resilienz. Statt der ikonischen, aber gefährlichen Palmen könnten heimische, feuerwiderstandsfähige Pflanzen die Landschaft prägen. „Palmen bieten keinen Schatten, keinen Lebensraum für irgendetwas, und während Bränden fungieren sie als Glutpartikel-Katapulte“, erklärt Olshansky.
Carla Fern und ihr Mann haben diesen Ansatz bereits übernommen. Sie entfernten invasive Pflanzen aus den Brandgebieten und pflanzten 30 heimische Eichen und andere feuerwiderstandsfähige Gewächse. Um ihr Haus herum schufen sie eine 30-Fuß-Sicherheitszone mit reduzierter Vegetation.
„Wir versuchen, vom Feuer zu lernen und seine Lektionen anzunehmen“, sagt Fern. Ihr Ehemann ergänzt: „Feuerwiderstandsfähige Landschaftsgestaltung kann eine erste Verteidigungslinie sein. Die Chumash-Ältesten hatten das schon vor langer Zeit herausgefunden. Die indigenen Völker dieser Küstenregion besitzen Weisheit darüber, wie man mit Vegetation umgeht, um Feuer und andere Lebensnotwendigkeiten zu managen.“
Fazit: Neue Architektur für das Pyrozän
Die Brandkatastrophen von Los Angeles verdeutlichen, dass Klimawandel und soziale Fragen untrennbar miteinander verwoben sind. Eine nachhaltige Architektur für das Pyrozän erfordert nicht nur neue Baumaterialien und Konstruktionsmethoden, sondern auch ein grundlegendes Umdenken im Verhältnis zwischen Mensch, Natur und gebauter Umwelt.
Für die Zukunft der Stadt könnten gemeinschaftliche Landstrategien ein Lösungsweg sein. Mehrere Grundstückseigentümerinnen und -eigentümer könnten angrenzende Grundstücke kaufen, um Verteidigungszonen zu schaffen – ähnlich dem „Lot Next Door“-Programm im Post-Katrina New Orleans.
Letztlich geht es nicht nur um feuerfestere Gebäude, sondern um eine neue Balance zwischen Mensch und Natur, zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen individuellem und gemeinschaftlichem Handeln. Die Paradoxie von Los Angeles – ewiger Sonnenschein und kohlschwarze Abgründe – spiegelt sich auch in seiner architektonischen Zukunft wider: Das Überleben im Pyrozän erfordert sowohl technologische Innovation als auch menschliche Empathie.

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