Baukunst-Weniger Vorschriften, mehr Risiken? – Deutschlands Architekten testen den Gebäudetyp E
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Weniger Vorschriften, mehr Risiken? – Deutschlands Architekten testen den Gebäudetyp E

20.03.2025
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Chet Becker

Einfach bauen, komplexe Konsequenzen – Chancen und Risiken des Gebäudetyps E

Der Gebäudetyp E hat unter Architektinnen und Architekten in Deutschland eine Debatte entfacht, die sowohl euphorisch begrüßt als auch kritisch hinterfragt wird. Das Konzept verspricht einen radikalen Befreiungsschlag aus der Überregulierung, die derzeit mit fast 4000 Baunormen das Bauen hierzulande erschwert, verzögert und verteuert.

Normenflut als Kostentreiber

Die Bundesarchitektenkammer spricht von einem regelrechten „Normen-Wahnsinn“. Die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Andrea Gebhard, macht deutlich, dass insbesondere Komfort- und Ausstattungsnormen entscheidende Preistreiber sind, die Bauen zu einem kostspieligen Unterfangen machen. Einfache Gebäude, etwa aus den 1910er Jahren, bieten laut Gebhard inspirierende Beispiele für weniger komplizierte Bauweisen.

Freiheit oder Haftungsfalle?

Beim Gebäudetyp E könnten Architekt und Bauherr von zahlreichen Normen abweichen, solange Sicherheitsstandards und öffentliches Baurecht eingehalten werden. Rechtsexperte Heiko Fuchs warnt jedoch, dass vereinfachtes Bauen keineswegs zu weniger Haftung führt, sondern vielmehr zu einer klaren und ausführlichen Dokumentation zwingt. Jeder Schritt, der von anerkannten Regeln der Technik abweicht, müsse umfassend aufgeklärt und dokumentiert werden.

Klimaresilienz im Fokus

Die Klimakrise setzt neue Maßstäbe. Gebäude müssen langfristig gegen zunehmende Wetterextreme gerüstet sein. Laut Prof. Dr. Heiko Fuchs, Experte für Baurecht, werden die bisherigen Normen diesen Anforderungen kaum gerecht. Die Diskussion um den Gebäudetyp E könnte allerdings dazu führen, dass Bauprojekte individueller betrachtet und langfristig resilienter geplant werden.

Zwischen Experiment und Realismus

19 Pilotprojekte in Bayern, wissenschaftlich begleitet von Prof. Elisabeth Endres (TU Braunschweig), erproben derzeit das neue Konzept. Das Spektrum reicht von Bauten ohne konventionelle Heizung in Ingolstadt bis hin zu minimaler Haustechnik in Augsburg. Architekten wie Lydia Haack sehen darin großes Potenzial, um schneller, günstiger und nachhaltiger zu bauen. Doch zugleich wächst die Sorge vor einer Klagewelle, da Rechtsexperten wie Heiko Fuchs deutliche Risiken in der unscharfen Grenze zwischen Komfort- und Sicherheitsnormen sehen.

Gesellschaftliche Verantwortung klar kommunizieren

Für Architektinnen und Architekten steigt mit der gewonnenen Freiheit zugleich die Verantwortung. Die Kommunikation mit allen Beteiligten – von Bauherren über Banken bis zu späteren Käufern – gewinnt an zentraler Bedeutung. Die erhöhte Komplexität könnte paradoxerweise sogar zu längeren Planungsprozessen führen, obwohl ursprünglich genau das Gegenteil beabsichtigt war.

Nachhaltige Zukunft oder neue Konflikte?

Die Einführung des Gebäudetyp E könnte langfristig positive Impulse für die Baukultur setzen. Jedoch betonen sowohl Gebhard als auch Fuchs, dass der Gebäudetyp keineswegs ein Freibrief für qualitativ minderwertige Bauten ist. Vielmehr müsse jedes Bauprojekt sorgfältig geprüft und rechtssicher gestaltet werden, um Haftungsrisiken zu minimieren und Qualität sicherzustellen.

Insgesamt zeigt sich, dass der Gebäudetyp E nicht einfach eine neue Baukategorie ist, sondern ein grundlegendes Umdenken in Architektur und Baurecht erfordert. Er bietet Chancen für innovatives, kosteneffizientes und nachhaltiges Bauen, birgt jedoch ebenso hohe Risiken und Verantwortung. Klar ist: Einfacher Bauen könnte komplexer sein als gedacht.

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