Tempelhofer Pläne :
Ein Luftschloss auf weitem Feld

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Die hölzerne Spielstätte auf dem Tempelhofer Feld
Mehr als ein bisschen Basteln: Das erste Gebäude, das auf dem Tempelhofer Feld gebaut wird, ist kein Wohnhaus, sondern ein Theater. Erbaut haben es Jugendliche mit einem Schreinermeister aus Unterfranken.

In Berlin gibt es eine neue Regierung. Unter den vielen Hoffnungen, die mit ihr verknüpft werden, sticht die auf eine behutsame Randbebauung des Tempelhofer Feldes besonders hervor. Im Angesicht des immer katastrophaleren Wohnungsmangels in der Stadt wirkt der 2014 getroffene Volksentscheid, nach dem fast zwei Drittel der Berliner den Bau von Wohnungen auf dem ehemaligen Flughafengelände abgelehnt hatten, kurzsichtig bis unsozial.

Seitdem verbietet das „Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes“ eine dauerhafte Bebauung. Erstmals im Sommer 2019 wurde die Diskussion um eine Randbebauung mit Wohnungen von drei SPD-Bezirkspolitikern wieder angestoßen. Im Januar 2020 nahmen CDU und FDP darauf Bezug und plädierten für eine Überarbeitung des Tempelhof-Gesetzes. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD heißt es jetzt, dass am Rand des Feldes „Wohnquartiere mit breiten sozialen Angeboten für die neuen Bewohnerinnen und Bewohner und die Stadtgesellschaft geschaffen werden“ sollen, aber auch, dass für diese Entscheidung eine „Neubewertung durch die Berlinerinnen und Berliner“ maßgeblich sei. Das bedeutet: Ein neuer Volksentscheid wird kommen. Und mit ihm auch wieder die alte hitzige Debatte um Klimaschutz versus Wohnraumschaffung.

Wer in diesen Tagen das rund 350 Hektar große ehemalige Flughafenareal von der Westseite, vom Tempelhofer Damm aus, betritt, könnte allerdings meinen, die Sache sei schon entschieden. Da steht nämlich gute dreihundert Meter vom Eingang entfernt ein hölzerner Halbrundbau mitten auf dem Feld. Davor spielen junge Männer Cricket und applaudieren jedes Mal lautstark, wenn ein Schlag gut gelingt und der Ball zischend durch die Luft saust.

In klassisch antiker Tradition

Mit ein bisschen Glück gelangt man unbeschadet an den Bauzaun, der das hölzerne Gebilde am westlichen Ende der nördlichen Landebahn umgibt. Auf einem Plakat sind Bilder von Modellen zu sehen, Treppenstufen, Tribünen, eine Bühne – das erste Gebäude, das auf dem Tempelhofer Feld gebaut wird, ist kein Wohnhaus, sondern ein Theater.

Es bildet hier gewissermaßen eine Vorhut für die städtebauliche Entwicklung – ganz in klassisch antiker Tradition, in der die Spielstätten zu kultischen Zentren gehörten, um die herum sich eine Stadt entwickelte. „Luftschloss“ heißt das Tempelhofer Theater, das dem geltenden Gesetz entsprechend vorerst nur als temporärer Bau konzipiert ist und in den nächsten vier Jahren jeweils von April bis September vom Berliner „Atze“-Musiktheater mit Aufführungen unter freiem Himmel bespielt werden wird. Konzipiert und entwickelt hat das ganze Mathias Link. Der Schreinermeister aus Franken ist gewählter Vertreter im Bürgerbeteiligungsgremium für die Entwicklung des Tempelhofer Feldes und Leiter des Projekts „Mobile Bauwerkstatt“ beim Bildungsverein Bautechnik, einer gemeinnützigen Initiative der Berliner Bauwirtschaft, die sich die bessere Vermittlung von Handwerksberufen an Jugendliche zum Ziel gesetzt hat.

Die Bauwerkstatt bietet für Schulen kostenlos Tagesworkshops und längerfristige Bauprojekte zur Berufsorientierung an. Genau so ein „Realprojekt“ war die vergangenen Monate über das Luftschloss, dessen einzelne Module in einer Jugendwerkstatt auf dem Gelände der Tempelhofer Malzfabrik angefertigt wurden. Das Fichtenholz hat ein Waldbesitzer aus Unterfranken zum günstigen Einkaufspreis von 2020 geliefert – mit den Holzpreisen von heute wäre das Projekt nicht zu stemmen gewesen. Für die Umsetzung des Projekts hat Link die gemeinnützige GmbH Kernzone gegründet und als Kooperationspartner auch die Knobelsdorff-Schule OSZ, eine Spandauer Berufsfachschule für Bauhandwerker gewonnen. „Insgesamt haben rund hundert Jugendliche ab der Jahrgangsstufe 7 an dem Theater mitgebaut“, berichtet Link beim Rundgang über die Baustelle.

Jugendliche für das Handwerk gewinnen

Zehn Jahre lang war er in Unterfranken, danach dreizehn Jahre in Berlin selbständig, bevor er in die Jugendbildungsarbeit wechselte. Seine Mission klingt so einfach wie eindrucksvoll: Er will Jugendliche durch die frühe Erfahrung mit praktischer Arbeit für das Handwerk gewinnen. Das sympathische Engagement hat einen ernsten Hintergrund: Der Fachkräftemangel in Deutschland nimmt ungefähr in gleichem Tempo zu wie die Wohnungsknappheit. „Wenn wir in den nächsten fünf Jahren nicht gegensteuern, stürzt das Baugewerbe in Deutschland in eine schwere Krise“, so Link, „dann sind nämlich die Menschen weg, die noch zentrale Handwerkstechniken vermitteln und lehren können.“ Seiner Ansicht nach wäre es nötig, pro Woche drei bis vier Unterrichtsstunden „Praktische Arbeit“ in den Lehrplänen der Schulen zu verankern. Dabei geht es ihm nicht um eine weitere Garten-AG oder ein bisschen Werken und Basteln, sondern darum, „dass ein Achtjähriger einen Akkuschrauber in die Hand bekommt“.

Link, eigentlich ein gelassenes, sich seines Könnens bewusstes Gemüt, kann sich ganz schön in Rage reden über unseren fatal einseitigen Bildungsbegriff, der nach wie vor das universitäre Studium als höherwertig ansieht als eine handwerkliche Ausbildung. Im Grunde sei das „Missbrauch an der Berufsperspektive“ sagt er, während in seinem Rücken ein junger Mann in Arbeitshose freundlich grüßend ein Stromaggregat über den Boden rollt.

Was vorne auf dem Plakat etwas sozialromantisch klingt, nämlich dass sich die jungen Menschen, die hier ein Theater bauen, „neben Fachwissen auch Sozialkompetenz aneignen“, wird hier umfassend gelebt: Hier haben Flüchtlinge zusammen mit Auszubildenden und Schülerpraktikanten gehämmert und gesägt. Und wer weiß schon, ob sich der Charakter eines Menschen durch die Judith-Butler-Lektüre wirklich besser bildet als durch die Aufrichtung einer Zuschauertribüne.

Konzerte und Kinderbuchklassiker

Circa 350 Besucherinnen und Besucher sollen vom 12. Mai an im Luftschloss Platz finden. Optisch erinnert die Spielstätte an ein Amphitheater beziehungsweise ein halbes Globe – und wirklich soll hier bald Shakespeare zu sehen sein. Das Programm für diesen Sommer ist unter www.luftschloss-tempelhoferfeld.de einsehbar und reicht von Konzerten über Kinderbuchklassiker bis hin zu Improvisationstheater.

Außer den Vorstellungen am Abend wird der vom Berliner Kultursenat finanzierte Theaterbau tagsüber auch ein gas­tronomisches Angebot beherbergen. Eine Cafeteria in den Hinterbühnen-Modulen, in die auch Umkleiden, Duschen und Lagerräume integriert sind, bedient eine Außenfläche, die an einen Biergarten erinnert. Ob sich nicht selbst die eingefleischtesten Tempelhofer-Feld-Freihalter schon bald an diese wohlproportionierte Stätte aus Holz gewöhnt haben werden? Und im September niemand mehr von Abbau spricht? Man wird sehen. In jedem Fall darf das Berliner Luftschloss schon jetzt als engagiertes Zeichen gelten, als mahnende Erinnerung daran, welcher Platz dem Handwerk in unserer Gesellschaft eigentlich zusteht: nämlich einer der ersten auf dem weiten Feld der Arbeit.